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Wurzeln der Ego-State-Therapie – Paul Federn und George Estabrooks: Ich-Zustände, gespaltene Persönlichkeiten und programmierte Attentäter

Ego-State-Therapie galt ursprünglich als ein Verfahren der Hypnoanalyse, entstand also aus der Integration von Psychoanalyse und Hypnose. In diesem Workshop soll diesen beiden Wurzeln der Ego-State-Therapie anhand von zwei Personen nachgegangen werden, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Arbeit John Watkins hatten.

Der Lehranalytiker von John Watkins war Edoardo Weiss, seinerseits Lehranalysand, wichtigster Schüler und Herausgeber der Schriften von Paul Federn, welcher bekanntlich den Begriff der Ich-Zustände einführte. Ein anderer Lehranalysand von Paul Federn war Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse. Paul Federn, der zu Lebzeiten wenig Bekanntheit erlangte, leistete einige sehr differenzierte Beiträge zur Ich-Psychologie, der damals die Psychoanalyse dominierenden Schule, bevor die Narzissmus- und die Objektbeziehungstheorie entstanden. Begriffe wie seelisches und körperliches Ich-Gefühl, Flexibilität der Ich-Grenzen und Schichten von Ich-Zuständen umschreiben ein dynamisches Verständnis von der Arbeit mit inneren Anteilen, dem Bewusstsein und dem Unbewussten, das auch heute noch sehr aufschlussreich sein kann.

Einer der wichtigsten Hypnose-Lehrer von John Watkins war der heute nahezu unbekannte George Estabrooks, seinerzeit eine Koryphäe und Autor des Grundlagenwerks „Hypnotism“ (1943). Ich kann mich sehr gut erinnern, wie John Watkins 2003 in Bad Orb in seinem Vortrag erzählte, wie er am Ende des zweiten Weltkrieges bei George Estabrooks gearbeitet hat, in einer Abteilung, in der es um die Anwendung von Hypnose in Kriegsführung ging. Er beschrieb z.B., wie er in einem paradigmatischen Hypnose-Experiment einen Soldaten dazu brachte, einen Kameraden anzugreifen, indem er ihm die Halluzination suggerierte, dieser Kamerad sei ein japanischer Soldat, der ihn töten wolle – was man heute als eine indirekte Vorgehensweise bezeichnen würde. Dieses und ähnliche Experimente beschrieb Watkins in einem Artikel (1947).

George Estabrooks hatte einen Universitäts-Lehrstuhl inne und vertrat ausdrücklich den Standpunkt, dass in der Kriegsführung keine ethischen Grenzen gelten und in der Forschung auch terminale Experimente durchgeführt werden müssen. Er behauptete bis zu seinem Lebensende in Interviews, dass er schon im zweiten Weltkrieg mithilfe von Hypnose programmierte Attentäter erzeugt hätte. Er arbeitete mit Kindern und Jugendlichen, um sie zu besonders gut hypnotisierbaren Subjekten zu trainieren. Obwohl es anhand der aktuellen Quellenlage nicht beweisbar oder offiziell zugegeben ist, wird in der einschlägigen Literatur davon ausgegangen, dass er eine der wichtigsten Figuren des damals geheimen CIA-Programmes MK ULTRA war. Einige der markantesten, im Rahmen der Untersuchungsausschüsse 1976/77 zu MK ULTRA freigegebenen, anonymisierten CIA-Dokumente werden ihm zugeschrieben. Dort werden Hypnose als Verhör-Methode, künstlich erzeugte gespaltene Persönlichkeiten, hypnotische Kuriere, hypnotische Doppelagenten, Bomben-Übergaben unter Hypnose und andere Anwendungen beschrieben, bis hin zu mit Hypnose programmierten Attentätern. Einige dieser Original-Dokumente werden in diesem Workshop vorgestellt, zusätzlich werden Ausschnitte aus Video-Dokumentationen gezeigt.

John Watkins selbst hat zu der Anwendung von Hypnose in der Kriegsführung zwar auch veröffentlicht, entschied sich aber letztendlich für die Psychotherapie, zunächst von Kriegstraumatisierten. Auf eine Mitarbeit im MK ULTRA-Programm gibt es keine Hinweise, auch nicht, dass er irgendwann ethische Grenzen verletzt hätte. Es kann allerdings durchaus davon ausgegangen werden, dass seine Erfahrungen mit den Anwendungen von Hypnose bei George Estabrooks einiges zu seinem Verständnis von Dissoziation, abgespaltenen Persönlichkeitsanteilen und Ich-Zuständen beigetragen haben. Zusammenfasend kann ganz allgemein festgestellt werden, dass anhand der offenkundigen Möglichkeiten des Missbrauchs von Hypnose indirekt deutlich wird, dass die Möglichkeiten von Hypnose im therapeutischen Bereich noch lange nicht ausgeschöpft sind.

 

Literatur:

Federn, Paul (1956). Ichpsychologie und die Psychosen. Mit einer Einleitung von Edoardo Weiss und einem Nachwort von Heinrich Meng.

Estabrooks, George (1943). Hypnotism. Chapter IX: Hypnotism in Warfare.

Ross, Colin (2006). The CIA Doctors: Human Rights Violations By American Psychiatrists.

Watkins, John G. (1947). Antisocial compulsions induced under hypnotic trance. The Journal of Abnormal and Social Psychology, Vol 42(2), Apr 1947, 256-259.

Watkins, John G. (1949). Hypnotherapy of War Neuroses.

Watkins, John G. (1972). Antisocial behavior under hypnosis: Possible or impossible? International Journal of Clinical and Experimental Hypnosis, Vol 20(2), May 1972, 95-100.